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Der blutige Zuschauer

Also, wie ist es im Theater?


Stellen Sie sich mal vor: Das Stück fängt an und ich komme maskiert, logischerweise, damit sie mich nicht erkennen, wie ein Schauspieler auf die Bühne, gehe direkt auf die erste Reihe zu, schnapp mir einen Zuschauer und polier dem erst mal die Fresse. Das der Nasenbluten hat. So, was würde jetzt passieren? Sie glauben ja und daran halten Sie ja auch so lange wie möglich fest, das das ja Theater ist. Das das gar nicht echt ist.

Das das auch gar nicht echt sein kann, weil sie ja nicht kapieren, warum ich das machen sollte. warum sollte ich einen Zuschauer ohne Grund verdreschen, also, würden sie erst mal rattern in ihrem Gehirn, im Kasten und Referenzen ziehen und vergleichen, ob Sie das irgendwo schon einmal im Theater erlebt haben. Und wenn nicht, dann fänden sie das sogar ganz interessant. Dann würde das gleich mal gut losgehen- am Anfang. Das Ergebnis wäre also, das fängt doch erst mal ganz gut an. So, jetzt müssen Sie sich mal vorstellen, wie krank sie eigentlich schon sind. Da wird ein Zuschauer, einer von Ihnen, aus der Masse irgend einer, die Fresse poliert - von einem Schauspieler, und sie würden alle denken, das fängt ja erst mal gut an.

Jetzt muss ich mal kurz unterbrechen, damit Sie sich gegenseitig angucken können und sich fragen können, was der eigentlich von uns will, ob der das darf, ob das nicht sogar die Frechheit ist, oder die Höhe? Ob wir jetzt nicht gehen sollten? Aber das ist doch genau das Selbe, das ist doch auch Theater. Das ist doch genau das Gleiche. Merken sie eigentlich, wie krank Sie sind in ihrem Kopp? Das ist doch gar nicht passiert. Das war ne reine Frage, damit wir überhaupt erst mal anfangen können uns über Nietzsche zu unterhalten. Ausserdem war der Zuschauer in der ersten Reihe mein Bruder. Das war ne abgekarterte Sache. Ich hab meinem Bruder auf’s Maul gehauen, wie jeden andern Tag auch und Sie haben gedacht, ach der Arme, den hat’s aber erwischt. Hätte der sich mal lieber woanders hingesetzt. Also, Theater ist ganz einfach, man muss es sich nur vorstellen können. Übrigens mit meinem Bruder war gelogen, also ausgedacht. In Wirklichkeit hab ich eine Schwester und wenn ich die verdresche, stellt die sich bockig und macht mir nicht mehr die Wäsche. Und wer geht dann einkaufen und hält die Closchüssel sauber?

Also, pass auf: Im zweiten Akt nimmt jeder seinem Nachbarn was weg. Das ist jetzt kein Spass mehr, alles klar?

Weil das, was wir andern geklaut haben mehr wert ist, alles all das, was wir eh schon besitzen. Also, im zweiten werden also alle Zuschauer reicher und dann stirbt der Clown auf der Bühne, also ich. Jetzt können Sie nach Belieben auf mir herumtrampeln und sich rächen, aber das wird nicht passieren, weil Sie unter Beobachtung der anderen stehen und sich genieren. Und weil Sie so zögerlich sind, kann ich in der Zeit also gut wieder aufstehen, mir das Blut abwischen und im dritten Akt verschwinden. Und wenn Sie dann auch endlich im dritten sind, bin ich schon zu Hause.

Sehen Sie, so war das im Theater. Jetzt ist alles abgesprochen, Sie sind eingeweiht und der Vorhang kann sich vor unseren Augen schliessen. Nur das Sie eben draussen bleiben.

Jetzt kapiert?

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