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Vorwort Spielzeit 2018/19

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Theaterfreunde,



ich möchte mich als erstes für das mir entgegengebrachte Vertrauen bedanken und hoffe, wir konnten Ihre Erwartungen erfüllen, beziehungsweise auf überraschende Art und Weise auch enttäuschen. Mir ist natürlich an beidem gelegen.


Ich halte es aber für angebracht und notwendig mich an dieser Stelle vor allem an Sie als Mitmenschen zu wenden und der Auflistung von Stücken, die Frage nach dem Zusammenhang von Kunst und Wirklichkeit voranzustellen, denn meine Einsetzung als Schauspieldirektor war ja nicht die einzige Veränderung in Cottbus, mit der sich mein Ensemble und unser Publikum auseinanderzusetzen hatte.

Die offensichtliche Gewaltbereitschaft von Menschen, die unterschiedliche politische Ansichten vertreten, sind nun Teil unseres Alltags geworden. Der Zuzug von Geflüchteten spaltet die Gesellschaft und schürt Ängste, die durch Rechtspopulisten als Werkzeug eingesetzt werden können. Es scheint, die ganze Welt unserer Werte leidet an einer Verunsicherungsneurose.

Aber auch, wenn es den Anschein hat, Theater wäre besonders gut dafür geeignet, uns davon für einen kurzen Augenblick abzulenken und es als Instrument einer erholsamen Verdrängung zu benutzen - der Anschein trügt! Theater wird von Menschen gemacht. Und in jede Arbeit, in jede Rolle fließt die Wirklichkeitserfahrung der Schauspielerinnen und Schauspieler mit ein. Man kann das eine vom anderen nicht trennen. Sollten sich nun aber auch noch die Kunstschaffenden ohnmächtig und überfordert von der Wirklichkeit auf die Insel der Unterhaltungsindustrie zurückziehen, welche gesellschaftspolitische Bedeutung könnte dann dem Theater überhaupt noch zukommen?


Und aus diesem Grunde ist Theater keine Privatsache. Kein Rückzugsort. Es schöpft aus den Erfahrungen des Gemeinwesens und wird auch wieder von ihm aufgenommen. So findet der eigentliche Dialog zwischen dem Theater und seinem Publikum statt. Ich will damit sagen, es geht gar nicht so sehr darum, welche Stücke wir Ihnen zeigen, sondern wie wir sie zeigen.

Auch wichtigen und schwierigen Fragen unserer Zeit, kann man sich vergnüglich nähern.

Alles, wofür wir noch keine Antworten haben, macht uns Angst und wir würden es gern aus unseren Köpfen verbannen, aber so wird man sie eben nicht los - die Angst, die Ohnmacht und die Wut.


Wir kämpfen nicht gegen Ihre Langeweile. Wir kämpfen mit der Kunst gegen die Unsicherheit, die Angst, die unser Denken und Handeln lähmt und wünschen uns, Seite an Seite mit Ihnen, ein stärkendes, gesundes Selbstbewusstsein im Umgang mit den Fragen, die uns alle beschäftigen zu erlangen. Dazu werden wir auf der Bühne auch weiterhin unsere grossen klassischen Dichter befragen und auch komische Stoffe auf die Bühne bringen, da auch ein befreiendes Lachen zu Erkenntnissen über uns selbst führen kann.

Natürlich sollten wir vom Theater keine Antworten verlangen, aber Theatermacher und Theaterbesucher haben die selben Fragen. Wir teilen uns den selben Lebensraum und hoffen darauf, dass auch Cottbus eine Stadt sein kann, in der Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichen Lebensauffassungen respektvoll miteinander umgehen und sich entwickeln können.

Aber auch dieser Wunsch wäre nur geheuchelt, wenn sich das Theater ausgrenzend gegen Andersdenkende verhält. Im Gegenteil, das Theater muss seine Pforten für jeden offen halten, solange er sich als dialogbefähigt erweist - unabhängig von Religion und Überzeugung.

Theater ist ein Ort der Kommunikation und könnte sich schon bald erneut als unverzichtbarer Tempel des gesellschaftlichen Dialogs erweisen.


Und so, wie sich mein Ensemble mit einer veränderten Situation in der Welt, wie auch mit der im Theater auseinandersetzen muss, müssen auch Sie sich umorientieren. Die daraus resultierende politische Ohnmacht ist allerdings keine befriedigende Option.


Wir wünschen uns offene und für die Kunst aufgeschlossene Zeitgenossen als Zuschauer, die sich auch gern einmal in die Disskusion bei den Nachgesprächen einmischen.

Schliessen möchte ich diesen Absatz mit den Worten eines für die Musikindustrie bedeutenden zeitgenössischen Philosophen, der einmal sagte: „You can`t always get, what you want.“


Vielleicht sollte man noch hinzufügen, auch wenn man nicht alles bekommen kann, was man möchte - man sollte auf keinen Fall weniger wollen, als man bekommt.

Das Theater kann uns allen viel geben- warum darauf verzichten?


Ich wünsche Ihnen eine anregende neue Spielzeit mit dem Schauspielensemble des Staatstheaters Cottbus und freue mich auf Ihren Besuch.


Mit den besten Grüßen


Jo Fabian

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