Theater im Plastezeitalter ist keine einfache Sache. Nicht für jene, die keinerlei Verpflichtung oder Lust empfinden, bürgerliche Wertevorstellungen zur allgemeinen Erbauung und wohligen Distanzierung in ein modernes Kostüm zu werfen.
Eine lebendige und zeitgemäße Existenz des Menschen im Kunstwerk, erfordert
auch eine Vorstellung von den grundlegenden Veränderungen der Umwelt des Menschen und der damit eng in Beziehung stehenden Umwelteinflüsse auf seine Natur, den Alltag, seine Wertevorstellungen, Denkmuster und Ängste. Die Evolution und die Entwicklung menschlicher Taktiken, sich selbst zu begegnen, auszuweichen und zu überleben hat zu unterschiedliche Gesichter, als dass man sich wie automatisch jahrhundertealter Darstellungs - und Interpretationspraktiken stumpf bedienen könnte.
Je mehr wir aber Energie und Ehrgeiz darauf verwandt haben, auswendig zu lernen, wann Brahms gestorben ist, oder wie Strom entsteht, um so mehr erscheint es uns auch tragisch, wenn uns zeitlebens niemand danach fragt.
Wohlgemerkt, so weit scheint es noch nicht gekommen, und doch summieren sich die Dinge, die wir nicht mehr verstehen in immer größerer Folgegeschwindigkeit, so dass uns nichts weiter übrig bleibt, uns entweder davon unterhalten zu lassen und kommen aus dem Staunen also nicht mehr heraus, oder in eine Art Ohnmacht zu fallen, wobei das Ergebnis unserer Erkenntnis sein wird, nicht mehr übereinzustimmen mit der Welt in der wir leben und mit dem, was sie bewegt.
Es wird immer Leute geben, die aus unserem Staunen Geld machen, bis der Sinn des Lebens vollständig der Unterhaltung und der Erhaltung der Unterhaltungsindustrie gewichen ist und es wird auch immer Leute geben, die aus unserer Ohnmacht Geld machen, bis der Sinn des Lebens einer Art Kursus in Gesunderhaltung, psychischer Stabilität und Überwindung von Ängsten gewichen ist.
Es wird aber vor allem ständig Leute geben, die das durchschaut haben und dann daraus Geld machen, den Sinn des Lebens neu zu entwerfen.
Am schlimmsten sind aber die, die versuchen, aus allem Scheiß Geld zu machen, ständig Unterhaltung brauchen, alle möglichen Krankheiten für sich beanspruchen, ständig Kurse nehmen und dabei immer nach dem wahren Sinn des Lebens suchen.
Die Idee davon, daß die Zukunft irgend etwas mit ihnen zu tun haben könnte, löst sich in Luft auf, wenn sie sich eingestehen müssen, das ein fünfjähriges Kind vom Computer mehr versteht als sie selber.
Etwas nicht zu verstehen kann einen gewissen Reiz haben, etwas rätselhaftes in sich bergen oder eine Faszination für das Fremde beinhalten. Aber genauso gut kann es Ärger, Einsamkeit, Depression und Desorientierung hervorrufen.
Das Theater nun, muß mit Beidem umgehen, oder besser noch, macht sich Beides zu nutze. Es spielt ständig mit dem Unerwarteten, der Überraschung, dem Unvorhersehbaren und zur gleichen Zeit versucht es, dafür zu sorgen, daß es verstanden wird.
Der Zuschauer, glaubt man im Allgemeinen, bestehe mehr oder weniger darauf, geführt zu werden und erklärt zu bekommen, um schließlich zu verstehen.
Das Problem ist aber nicht, daß man das im Allgemeinen glaubt, sondern, daß er selbst es glaubt. Er selbst besteht sogar noch mehr darauf, als man es im Allgemeinen annimmt. Das rührt aber nur daher, daß er eine ganz bestimmte Art zu Verstehen, sein ganzes Leben lang trainiert hat. Die Entschlüsselung von Zeichen, nach einem für alle gültigen Lexikon. Die Verlässlichkeit auf dieses Lexikon und das "WIR- Gefühl", welches durch eine Art kollektiver Interpretation erzeugt wird, läßt ihn sich dazugehörig fühlen und gibt ihm auch ein Gefühl von Heimat und Sicherheit. Oft führt diese Sicherheit sogar zu Überschwenglichkeit und Kritikbedürfnis.
Genug davon. Ich möchte gegen den Jahrhunderte anhaltenden Interpretationszwang ankämpfen mit Theateraufführungen, die aus einem anderen Stoff bestehen.
Ich bin sogar fest davon überzeugt, daß Sie mich besser verstehen, wenn Sie mich nicht gleich verstehen.
Der Unvollständigkeitssatz:
Wenn aber die Informationen unvollständig sind, die uns aus dieser künstlichen, fremden Welt erreichen, wie kann dann unsere Interpretation von dieser Welt vollständig sein? Ist es nicht eher logisch, dass wir gar keine Interpretation haben?
Gang und gäbe ist es aber leider, dass wir lieber fehlinterpretieren, als gar nicht.
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