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FAUST

Aktualisiert: 28. Dez. 2021

Arbeitsgedanken aus der Werkstatt


Alles EITELKEIT?

Faust hat ein unstillbares Verlangen nach Wissen und Erkenntnis. Erkennt aber auch die Aussichtslosigkeit des Unterfangens, jemals über ein abgeschlossenes Wissen verfügen zu können. So stürzt er sich in eine eitle Krise, die ihn in einen erbärmlichen Zustand des Jammerns bringt und in dem er sich trotzdem über andere erhebt. Sogar über Geister übersinnlicher Herkunft, die dem Universalwissen über die Welt und „was sie im Innern zusammenhält“ näher sind ,als er selbst.

Das scheint eine gelungene Basis für einen Pakt mit dem Teufel, der ihm als Diener all das beschaffen sollte, was er sich ersehnt. Dass der Teufel dabei Gelüste weckt, die dem Faust noch gar nicht bewusst waren, erinnert sehr an heutige Marketingstrategien.

Den Fauststoff sinnlich aufzuarbeiten, ist gar nicht so einfach. Dazu müsste FAUST ein ganz gewöhnlicher Mensch sein, was er natürlich nicht ist, denn er redet fortwährend über das, was ihn beschäftigt. Damit ist er aber zumindest einer grossen Erkenntnis über sich und den Menschen im Allgemeinen sehr nahe - dass alles Eitelkeit ist. Und diese Eitelkeit wird es sein, durch die sich Mephisto seiner bedienen kann, um aus Faust einen zukünftigen Menschen zu formen, wie er uns heutzutage allerorten begegnet. Immerzu nach MEHR strebend, immerzu verlangend, immerzu eitel. Weder staunend, noch dankbar, noch genügsam.

Nun ist er ganz auf dem Wege zu einem Besessenen, der alles, was er begehrt ganz verschlingen will und bis zur Neige seine Gläser austrinkt. Ob es das gesamte Wissen der Menschheit ist, oder die sinnlichen Gelüste der Liebe, er kennt keine Grenzen und maßt sich Gottgleichheit an.

In seinem Egoismus und seiner Assozialität ist er Brechts „Baal“ ähnlich. In seiner vielleicht berechtigten Arroganz und Überheblichkeit, kommt er Nietzsches „Übermenschen“ sehr nahe. Das sind aber nur die Anlagen der Figur. Zum Glück gibt es in der Geschichte des FAUST auch eine Gegenkraft zu all dem zukünftig kapitalistischen Potential der Figur, die von Mephisto geradezu in die gewissenlose Lebensart des Gewinns auf Kosten anderer getrieben wird.

Diese Kraft ist Gretchen. In ihrer Gegenwart scheint all das Geblöke eines hochpotenten Dämonen zu verstummen und die Erlösung scheint nah, wenn er sich am Ende von Mephisto lossagen will, um sich Gretchen zuzuwenden, für deren furchtbares Schicksal er erstmals eine Verantwortung empfindet, die den emotional verstümmelten FAUST erwachsen, leidensfähig und mitfühlend zeigt.

Was sagt uns das nun und was hat das mit unserer Wirklichkeit zu tut?

Ich hatte es schon angedeutet - Oberflächliche Vergnügungssucht, skrupellose Gewinnorientierung, gedankenloser Missbrauch natürlicher Ressourcen, emotionale Verrohung, ständiges hungriges Streben nach Wachstum, Raserei ohne Unterlaß. Die Uferlosigkeit des Menschen in seinem Bestreben, zu besitzen, zu vermehren und zu vernichten. Das Wirtschaftswachstum aber immerfort zu steigern, bringt uns den Katastrophen, die wir verhindern wollen tatsächlich nur näher.

Wie aber aussteigen, wie DEM Einhalt gebieten?

Wir müssen unsere Ansichten vom Leben wohl grundsätzlicher in Frage stellen und oder ändern, um uns und diese einzige Welt zu retten.

Mephisto versucht Faust in eine Zukunft der skrupellosen Raserei zu bewegen. Fausts Abkehr von Mephisto im letzten Moment, ist der einzige Hoffnungsschimmer in diesem dunklen Stück Theater über Größenwahn, Egoismus und Fortschrittsglauben am Vorabend der ersten industriellen Revolution.

Eine Vorahnung Goethes, der wir heute durchaus mehr als bloße Dichtervergötterung abgewinnen könnten. Die aber auch leicht als Rückbesinnung und Umkehr zu Vergangenem missverstanden werden kann. Die Hinwendung zum Glauben, die Verherrlichung der Vergangenheit und die Verdrängung unserer eigenen Fehler in der Geschichte, machen es möglich, mit reaktionären Ansichten andere davon zu überzeugen, dass der FAUST unser Nationalbewusstsein steigern könnte, einen Weg in die Zukunft weisen würde. Er ist aber eher eine Warnung, denn diese Zukunft sitzt ja bereits in unseren Zuschauerräumen und ist Teil des Kapitalismus. Wir müssen also nicht nur unsere Ansichten, sondern auch unser Leben ändern. Auf der Schwelle zwischen alt und neu entstehen Paradoxien, die uns an unserem Verstande zweifeln lassen und zu recht, denn sonst würden wir sie nicht als lähmend, sondern als Ermutigung zur Selbstrettung ansehen.

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