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AutorenbildJo Fabian

Erinnern und Bedeutung

Ein Nebeneffekt der Aufbewahrung von Irgendetwas in einem Raum, den wir Museum nennen ist, das Anwachsen seiner Bedeutung in den Augen des Besuchers, unabhängig davon, ob er sie erkennt oder nicht. Man hat es ausgestellt - dann wird es bedeutend sein, man hat es gedruckt - dann wird es gut sein, es kostet 10.000 - dann muss es auch was wert sein.

Wenn es der Mühe für Wert befunden wird, für die Nachwelt aufbewahrt zu werden, so kommt es einem Zeugnis gleich, welches an Bedeutung gewinnt, je älter es ist. Durch den Zuwachs an Bildung und Kultur, den man in solch einer Konfrontation erfährt, nährt sich gleichzeitig die Gewissheit, das alles, was wichtig und bedeutend ist, schon durch irgendeinen geheimen Mechanismus aufbewahrt würde.

Dummerweise ist es sehr schwierig, die Bedeutung zu erkennen, solange wir es noch vor Augen haben. Wenn es dann droht in Vergessenheit zu geraten, wenn es nicht mehr vorhanden ist, oder in der Vergangenheit verlegt wurde, fangen wir an, uns wieder dafür zu interessieren.

Das Augenscheinliche wird bewusst - die Bedeutung liegt für uns nicht in ihm selbst, sondern in seiner Abwesenheit. Unser Denken kann das in Marktbewusstsein übersetzen. Darauf sind wir trainiert und können auf diese Weise Bedeutung und Wert erkennen. Wenn etwas rar ist, wird es teurer, wenn es gar nicht mehr existiert, ist es unerschwinglich.


Stellen wir uns ein Museum vor, in dem die Luft aus verschiedenen Jahrhunderten aufbewahrt würde. Wir würden mehrere mit Jahreszahlen beschriftete Räume durchstreifen, in denen natürlich nichts zu sehen ist, aber in dem Glauben, die Bedeutung des Nichts erkannt zu haben, streben wir unwillkürlich dem Raume zu, in dem eine Luftsäule aus dem 12. Jahrhundert v. Chr. ausgestellt ist und atmen tief ein. Man reicht uns zusätzlich eine Brille, mit der wir den Tanz der Moleküle beobachten können und augenblicklich fühlen wir uns unterhalten. Unglaubliche Pirouetten und Spiralen, Lichtströme, die sich in unzähligen Wirbeln zusammenschliessen und wieder trennen. Jetzt erst nehmen wir wahr, das den Raum eine ferne, feinsinnige Musik durchströmt und alles Sichtbare scheint sich mit ihr zu verbinden.

Die Vorstellung davon, so hätten sich die Partikel und Sauerstoffmoleküle in unserer Vergangenheit bewegt, ist faszinierend.

Unser Gehirn macht den Rest. Wir fühlen die unverpestete Reinheit und Frische der uralten Luft. Und selbst, wenn wir nicht daran glauben, das es technisch möglich war, Luft aus uralter Zeit zu konservieren und auszustellen, können wir möglicherweise die Idee vor dem Hintergrund einer anhaltenden Luftverschmutzung durchaus nachvollziehen und werden es immerhin noch für eine extravagante Vision eines Künstlers halten.

Stellen wir also fest, das selbst in einem so minimalistischen Rahmen, Idee und Form zu einer Einheit finden müssen, um uns zu interessieren, denn wenn die Idee fehlen würde, wären wir in einem für unser Verständnis gänzlich leeren Museum unterwegs und würden vermutlich unser Geld am Ausgang zurückverlangen.

Ich hoffe, das den Aufbewahrern von Theater nicht ähnliches wiederfährt.

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