Die Auseinandersetzung des Künstlers mit digitalen Medien in einem mehr und mehr digitalisierten Umfeld, gibt Anlass auch auf der Bühne öffentlich darüber nachzudenken, ob die Benutzung von Codes, Technologien (softwaregesteuerter Darstellung) und strukturellen, binären Experimenten, uns zu einer tatsächlich neuen Erfahrung mit dem Kunstwerk und unserer Wirklichkeit führen.
In der Musik, in der bildenden Kunst, sowie im Film gibt es bereits eine Reihe von Experimenten, die sich damit befassen, wie Seh- und Hörgewohnheiten durch die ungewöhnliche Herstellung von Geräusch und Visualisierung einerseits den Geist des Künstlers, andererseits den des Benutzers beeinflussen, wenn nicht sogar beflügeln.
Die weitestgehend unsichtbare Forschung an derartigen Wahrnehmungsmodellen verhindert noch die größere öffentliche Wahrnehmung. Gefördert wird oft genug Mainstream, Bewährtes und kommerziell Erfolgreiches. Damit nimmt aber auch die kulturelle Förderung Einfluss auf die zukünftige Aufnahme – und Wahrnehmungsbereitschaft des Publikums.
Dass die Technik, das Muster, der Code unser Leben tiefgreifend beeinflussen und verändern, steht außer Zweifel. Dass Künstler sich immer schon für technische Entwicklungen interessiert haben, um sie für ihre Arbeit nutzen zu können, steht ebenfalls außer Zweifel. Warum also nicht forschend, wie auch praktisch der Frage nachgehen, was fasziniert uns so sehr daran und was hat es zu bedeuten?
Ahnen Künstler möglicherweise wie Seismographen, welche technischen Entwicklungen unser aller Denken in Zukunft bestimmen werden? Sind sie es, die trainieren, damit und darüber zu kommunizieren, da wo allen anderen noch die Worte dafür fehlen? Suchen sie auch für sich ein neues Feld der Untersuchung, um ihre eigene Arbeit und auch ihr eigenes Denken zu erweitern? Was mich besonders daran interessiert ist, inwieweit lässt sich das neue Verhältnis der selbst gewählten Abhängigkeit von Technik, Systemen und Automationen und der künstlerischen Freiheit und Kreativität auf der anderen Seite beschreiben. Die Erforschung neuer Formen, die mehr auf unsere tatsächliche Wirklichkeitserfahrung abgestimmt sind, da sie daher kommen, wird auch neue Inhalte hervorbringen. Nur kann man das eine nicht ohne das andere gewinnen.
Wenn ich also an Generatoren arbeite, die etwas nicht vorher Bestimmbares hervorbringen, dann mit dem Ziel, mich selbst und auch ein Stück Welt, wie ich sie selbst nicht denken konnte, ohne auslösendes Ereignis darin zu finden, denn mit dieser Art von Welt, glaube ich, haben wir es alle zu tun. Wir erfinden sie nicht neu nach unseren Wünschen und auch unsere Sehnsüchte werden kaum beachtet. Wie können wir uns also in ihr verwirklichen? Müssen wir das überhaupt, oder empfinden wir uns eher als Sklaven einer vorgefertigten Welt, die wir gar nicht verstehen und versuchen lediglich, darin zu überleben. Auf der Bühne allerdings können wir Wirklichkeit erfinden, warum also nur abmalen?
Wenn es also ein neues Bewusstsein gegenüber diesem „IST“-Zustand geben könnte, durch welches unsere Teilnahmebereitschaft, als auch unsere Teilnahmemöglichkeit zunimmt und wächst, dann sollten wir zunächst das Gefäß analysieren, indem wir schwimmen.
Immer mehr Menschen haben das unbestimmte Gefühl in einer Art BlackBox zu leben, in der es ziemlich dunkel ist und sie ständig gezwungen werden, Signale, die unaufhörlich von außen auf sie prasseln, zu interpretieren. Da wir selbst analog sind, aber permanent digitale Signale verarbeiten müssen, benötigen wir Hilfsmittel, Instrumente, die uns die Verarbeitung erleichtern, sortieren und uns gleichzeitig psychologisch entlasten. Sie funktionieren wie Hörgeräte, Brillen, ja, wie Theater. Ein Training mit Instrumenten, die politische, soziale und künstlerische Realität als Output erschaffen helfen, welche vorausschauend, innovativ und universell ist.
Merce Cunningham benutzte viele Jahre eine Software, mit der er choreographierte, von den Strukturen der Musik von John Cage beeinflusst, William Forsythe nahm Farbtafeln und Monitoranweisungen, ich benutzte das Alphasystem und algorithmische Strukturen. Alles in allem zwingen wir die Akteure, wie selbstverständlich durch ein vorgefertigtes System zu laufen, sich daran zu messen, zu stossen und es letztendlich zu bewältigen und zu vermenschlichen.
Das heißt, im künstlerischen Prozess der Produktionsentwicklung gibt es bereits den „digitalen“ Input der Signale, die interpretiert werden wollen.
Jede Vorstellung zeigt uns eine neue Bewältigung und ist gleichzeitig eine Einladung sich mit dieser Art zu leben auseinanderzusetzen.
„Pimorphosen“ aus dem Jahre 2010 war bereits eine vollständig digitalisierte Variante von Theater, da sie komplett codiert war und ausschliesslich mit dem Alphasystem gearbeitet hat.
Das heisst, die Ästhetisierung, oder die Visualisierung als Ereignis, existieren vollkommen unabhängig vom Verständnis der sich seit Jahren bereits vor unseren Augen aufblätternden digitalen Wirklichkeit.
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