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Der Schneider von Ulm

(ein Kommentar zu Bertolt Brecht)


Es war einmal ein Schneiderlein,

das hatte einen Traum.

Es baute sich ein Fluggerät

und sprang von einem Baum.


Dabei zerbrach es das Gestell

und auch das Flügelwerk.

Als beides wiederhergestellt,

bestieg es einen Berg.


Von dort, so glaubte es bestimmt,

säh' alles anders aus.

Und schau, ihn trug ein warmer Wind,

bis in die Luft hinauf.


Ein Flügelschlag, wie keiner war,

dann kam die Sorge wieder.

Im Sturzflug noch erfindet es,

zum Bremsen ein Gefieder.


Doch diesmal auf die Spitze

des Kirchturms in der Stadt.

Bei Brecht sah das ein Bischof

und winkte dankend ab.


"Der Mensch ist doch kein Vogel,

der sich nach Belieben,

erhebt aus seinem Stande -

Kein Mensch wird jemals fliegen."


Doch all die andern Leute,

die wollten das mal sehn.

Sie griffen ihre Kinder

und liessen alles steh'n.


Nur oben in der Sonne,

da stand das Schneiderlein,

und wäre nicht der Wetterhahn,

so wäre es allein.


Es spannte seine Flügel auf

und setzte an zum Sprung.

In dem Moment, nun halt dich fest,

brach ab die Halterung.


Im Geiste gegenwärtig noch,

im Wimpernschlag des Lebens,

stellt es die Flügel in den Strom,

doch leider schon vergebens.


So stürzte es wie ein Geschoss

in die zersprengte Menge.

Dort schlägt es auf den kalten Stein,

bald Anlass für Gedränge.


"Ich habs gewusst, das war mir klar."-

konnt man den Bischof hören.

"Wie kann man nur so blöde sein

und Gottes Zorn beschwören?"


Drauf schalt der Vater seinen Sohn,

das dies passiert mit Leuten,

die nicht drauf hören, was man sagt,

bis mal die Glocken leuten.



Das kühne Schneiderlein von Ulm

ist dabei drauf gegangen.

Doch die Geschichte ist nicht tot,

noch nicht einmal vergangen.



Die Heimsuchung


Der Schneider kreuzt aufs Jahr,

den Weg des Bischofs wieder.

"Herr Bischof, ich kann gehen,

so gut wie Jedermann."

Da hielt der Bischof kurz,

verdutzt und grimmig an.


"Was soll schon daran sein, Idiot?

Selbst ich kann gehen ohne Not.

Was ist daran ein Wunder?"

Da sprach zu ihm der Schneider:

"Das mag wohl sein, Herr Bischof -

du bist ja auch nicht tot."


Da sah der Bischof erst im Licht

und wollte es nicht glauben.

Der tote Schneider zu ihm spricht,

ihm den Verstand zu rauben.


"Ja, bist du's denn tatsächlich,

der knapp vor einem Jahr,

gestorben auf dem Pflaster

und ganz zerschellet war?"


"Ich bin's mein Lieber, allenthalb.

Pass auf, nun, wie ich's mach!"

Da ging der Schneider ein paar Schritt,

des Bischofs Augen gingen mit.


Doch fehlten ihm Gewicht und so

konnt er den Grund nicht halten.

Der Bischof rief: "Da hab ich dich,

du bist der rechte Schneider nicht.

Ich sah ja, wie du schwebst

und dich mit deinen Flügeln

von der Erd abhebst."

Als ihm bewusst ward, was er sprach,

bekam der Bischof Fieber.

Er nahms zurück und unterstrichs,

dann war es ihm zu wider.


Er bettelte: "Lass ab von mir.

Hebe dich von hinnen.

Ich bin ein treuer Gottesknecht,

nur grade nicht bei Sinnen."


In seiner Angst, tat er ihm leid,

so liess der Schneider von ihm ab.

Der Bischof trollte sich alsbald,

wahrscheinlich in sein Grab.


Der Schneider sprach zu sich:

Oh, Gott, ich hätte nie geglaubt,

dass fliegen leichter ist als gehn."

Da flog der Schneider durch ganz Ulm

und jeder konnt' es sehn.



(Kommentar zu "Der Schneider von Ulm" von Bertolt Brecht)




















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